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Bürgerwehr im Arnsdorfer Supermarkt

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Im Mai 2016 machte diese Nachricht deutschlandweit große Schlagzeilen: Eine Bürgerwehr zerrte in Arnsdorf nahe Dresden einen psychisch kranken Iraker aus einem Supermarkt und fesselte ihn danach mit Kabelbindern an einen Baum.

Fast drei Jahre später will ein Filmemacher aus der Dresdner Neustadt einen Kurzfilm darüber drehen. Dazu startete er vor einigen Tag ein Crowdfunding-Projekt.

Der Regisseur Jan Wilde schaut ambivalent auf Arnsdorf
Der Regisseur Jan Wilde schaut ambivalent auf Arnsdorf

„Man stelle sich das so vor: wir werden zu Beginn einige Polizisten im Film sehen. Und wie so oft, haben sie unterschiedliche Blickwinkel auf den Fall Arnsdorf. Genau damit wollen wir starten, wir wollen die Widersprüche aufzeigen“, erklärt der Regisseur Jan Wilde seine Filmidee.

Er hat die letzten Monate das Ereignis von allen Seiten betrachtet. Er kennt fast jeden Artikel über den Arnsdorfer Vorfall. Er hat mit verschiedenen Akteuren gesprochen und jetzt scheint für ihn der Fall gar nicht mehr so klar wie am Anfang. Natürlich sei es über Zivilcourage hinausgegangen und natürlich ist er mit der Einstellung der Gerichtsverhandlung nicht zufrieden, aber ihm werde die Komplexität des Problems immer bewusster.

„Meine eigene Haltung wird ambivalent. Es wurde zu spekulativ berichtet. Wir wollen in dem Film die Denkmuster und Argumente offenlegen, die nur in Nebensätzen genannt wurden. In einer bestimmten Weise führen wir die eingestellte Gerichtsverhandlung fort“, erläutert Jan Wilde. Vielleicht trägt deswegen der Film den Namen „der Prozess“.

Momentan steckt der Regisseur mitten in den Dreharbeiten für den 20-minütigen Film. Mit fünf Schauspieler*innen probt er seit einem Jahr in den Uferstudios Berlin. Ursprünglich kommt Jan Wilde auch aus Berlin. Während seines Studiums an der Kunsthochschule Köln lernte er den Dresdner Benjamin Schindler kennen. Gemeinsam gründeten sie vor zwei Jahren die Firma „Zeitgebilde“ mit Sitz in der Dresdner Neustadt und haben seitdem einige Filme zusammen gedreht. Dass es mit dem neuen Kurzfilm aber so in die Debatte des Rechtsextremismus geht, ist auch für Jan Wilde ziemlich neu.

Der Arnsdorfer Vorfall wird auf die Leinwand gebracht. (Foto: Wilde)
Der Arnsdorfer Vorfall wird auf die Leinwand gebracht. (Foto: Wilde)

    „Wir wollen den Film in einem dokumentarisch-fiktionalem Stil abbilden.“ Jan Wilde

Das klingt erst einmal ziemlich abstrakt, aber wenn man ihm länger zuhört, wird verständlich, worum es ihm geht. Er will den Vorfall selbst abstrahieren. Die Inszenierung wird nicht in Arnsdorf gedreht, sondern in der künstlichen Umgebung eines Theaters. Jan Wilde will das Arnsdorfer Ereignis in einen höheren Kontext setzen – allgemeiner halten.

„Was wir in Arnsdorf gesehen haben, findet wahrscheinlich wöchentlich in abgeschwächter Form irgendwo in Deutschland statt – nur das es keiner filmt“, sagt Jan Wilde, der immer wieder auf die Macht und mediale Wirksamkeit von Bildern hinweist. Ziel des Films ist es also, nicht nur das Ereignis in Arnsdorf unter die Lupe zu nehmen, sondern die Aufmerksamkeit auf die Mitte der Gesellschaft zu lenken. „Die lässt sich immer stärker von rechtsextremen Gedankengut vereinnahmen“, erklärt Jan Wilde und verweist dabei auf die Vorfälle in Chemnitz und auf die Autoritarismus-Studie von der Uni Leipzig. Diese fand beispielsweise heraus, dass sich 40 Prozent der Deutschen ein autoritäres Regime vorstellen können.

Um das Projekt zu finanzieren, läuft eine Crowdfunding-Kampagne seit Anfang März auf der Plattform Startnext. Das Projekt wird bereits von der Kulturstiftung der Freistaates Sachsen und vom Kulturamt Dresden unterstützt. Trotzdem ist das Team auf weitere Mittel angewiesen. Premiere soll Ende 2019 sein. „Hoffentlich noch vor den sächsischen Landtagswahlen“, ist Jan Wilde optimistisch.

Der Schauspieler Talha Akdeniz spielt den geflüchteten Iraker Karim. Rechts ist die SchauspielerIn Dieter Rita Scholl zu sehen. (Foto: Wilde)
Der Schauspieler Talha Akdeniz spielt den geflüchteten Iraker Karim. Rechts ist die SchauspielerIn Dieter Rita Scholl zu sehen. (Foto: Wilde)

Weitere Informationen

  • Spenden für die Crowdfunding-Kampagne über:  www.startnext.com
  • Mehr zum Regisseur und zur Neustädter Firma für Filme, Bilder und alles dazwischen: zeitgebilde.de/
  • Das Video zur Arnsdorfer Bürgerwehr, dass deutschlandweit die Runde machte. www.spiegel.de
  • Die komplette Autoritarismus-Studie findet sich als PDF hier: www.boell.de

Der Beitrag Bürgerwehr im Arnsdorfer Supermarkt erschien zuerst auf Neustadt-Geflüster.


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